Interview: Begegnung mit der Künstlerin Soshana
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Beautiful&Minds I
18. Juni 2014 – Autor: Friederike Schempp - http://www.kultmucke.de/beautifulminds/
Es ist im Film Sans Soleil von Chris Marker die Rede von einer „Liste der Dinge, die das Herz höher schlagen lassen“. Beautiful and Minds widmet sich (m)einer solchen Liste, die auf eine Herzwand eingebrannte Namen und deren Geschichten dahinter zu Tage bringen soll. Ich reiße mir hier also von nun an regelmäßig ein Herz für euch auf, vielleicht schlägt die ein oder andere Geschichte an oder ein.
B&M I: Soshana – malende Nomadin
Paris, 8. Dezember 1952
"Schwer liegen mir am Herzen die Menschen, die mich alle wollen und meine Liebe.
Ich bin zu ehrlich und zu tief…" [1]
Wien, 23. Februar 2014
Ich bin mit Amos, Soshana’s Sohn, ins jüdische Altersheim Wiens gefahren. Soshana saß in ihrem Rollstuhl, mit Blick zum Fenster geschoben. Sonne schien durch einen hellgelben Vorhang und malte Schatten in Form von Falten auf den Fußboden.
Amos: Ich habe heute die Frieda mit gebracht.
Soshana: Kahlo, Frida Kahlo.
Stille, weil ich nicht weiß, mit welcher Frage ich beginnen soll.
Ich: Hast du sie einmal getroffen?
Soshana: Nein.
Amos: Frag Sie was.
Ich: Bist du einmal in Mexiko gewesen?
Soshana: Ja. Mexiko ist schön.
Ich: Und die Farben?
Soshana: Auch.
Soshana sieht schwer und es fällt ihr nicht leicht, den Kopf zu halten. Amos hat das dann manchmal gemacht und gesagt: Der Kopf, Soshana, denk an den Kopf!
Ich frage mich und sie: Do you have your picture already in your mind before painting?
Soshana: Yes. The whole picture.
Soshana, malend (2012), Cana Sophie Bilir-Meier
Mehrmals in der Woche wird die Malerin von Studentinnen besucht, die ihr zur Hand gehen, wenn Soshana auf der grünen Brücke, einem verbindenden Gang zwischen zwei Gebäudekomplexen, ihre Bilder entstehen lässt.
"For me painting is like writing diary."
Soshanas Bilderlager zu durchforsten, hieße, einen ganzen Weltatlas zu durchblättern. So umfassend und vielseitig wie ihre Bilder, sind auch Länder, Menschen, Landschaften auf die Soshana während ihrer Reisen gestoßen ist und die Orte, an denen sie ausgestellt wird.
1927 als Susanne Schueller in Wien geboren, musste Soshana bereits 1938 erfahren, was es heißt, ein Land zu verlassen.
Hoffnung, grün (2007), Soshana
Die Flucht nach England legte den Grundstein für ihren Drang zu reisen und die Welt malend zu begreifen. Im Alter von siebzehn Jahren zog sie mit Beys Afroyim, ihrem damaligen Lehrer und späteren Ehemann, durch Amerika und porträtierte Schriftsteller, Musiker, Staatsmänner und Wissenschaftler, die ihnen im Zuge ihrer Reisen begegneten, unter ihnen Arnold Schönberg, Franz Werfel und Thomas Mann.
Die erste große Ausstellung von Soshanas Werken fand 1948 im Circulo de Bellas Artes in Kuba statt. Von diesem Zeitpunkt an blühte ihr Künstlername in den Blumen seiner Bedeutung: (Soshana bedeutet) Rose oder Lilie. Auch Soshana wurde einst porträtiert, 1954 von keinem Geringeren als Picasso, mit Kohle auf Papier. Erstmals begegneten sie sich 1953 bei einer Vernissage in Paris.
Soshana pflegte Bekanntschaften und Freundschaften in der ganzen Welt.
Soshana und Picasso (1962 ), Soshanas private Fotosammlung
Ihr Interesse an fremden Kulturen führte sie in den Nahen und Fernen Osten, nach Nord- und Südamerika, nach Afrika und in die Südsee. Einige Orte sind zu Soshanas temporärer Heimat geworden, andere Plätze wiederum hat sie mit ihren Pinseln aufgegriffen, festgehalten und ist weiter gezogen. Ihre Malerei ist Sprache, deren Vokabular sich mit jedem Reiseaufenthalt erweitert und verändert hat.
Vogel über Japan (1959), Soshana
Paris, 2. Januar 1953
Alle Kunst ist der Ausdruck von Erfahrung in einem Medium. Die Erfahrung ist umhüllt in Formen, die unsere Emotionen, durch unsere Wahrnehmung, auslöst. [2]
War diese Sprache zu Beginn ihrer Reise noch konkreter, realistischer, schlugen seit Soshanas Aufenthalt in Japan lyrischere, abstraktere Töne an. Die Vielfalt der Kulturen und Menschen, die ihr im Laufe ihres Lebens begegneten, inspirieren Soshana, die seit 1985 wieder in Wien lebt und malt, bis heute.
Man stelle sich vor, Soshana hätte ihre Pinsel im Zuge ihrer Reisen nicht im Gepäck gehabt, dann wäre die Kunst um ein unauslöschliches Werk ärmer gewesen.
Kurznotiz bevor wir aufbrechen:
Soshana: When are you coming back Amos?
Amos: The next five days.
Soshana: Where are you going?
Amos: London.
Soshana: I come with you!
Amos: Might be a bit difficult with the wheelchair. I have to check it.
Soshana: I already checked it!
Ich bin mir sicher, Soshana ist noch vor ihrem Sohn in London gelandet – in Gedanken.
[1] Auszüge aus den Tagebucheinträgen von Soshana
[2] Ebd.