Laudatio
Soshana Afroyim zur Verleihung des Goldenen Verdienstzeichens des Landes Wien
Manchmal können ganze Zeitepochen am Leben und Wirken einzelner Personen erklärt werden. Persönliche Lebensgeschichten verlaufen entlang politischer Ereignisse, geben Zeugnis von Umbrüchen und gesellschaftlichen Änderungen. Das Leben von Soshana Afroyim aber auch die Entstehungsgeschichte sowie die Rezeption ihres künstlerischen Werkes erzählen allesamt Geschichten und Geschichte davon, was das 20. Jahrhundert dieser Stadt Wien gebracht hat und sind daher ein kleiner Wiener Kosmos des letzten sogenannten kurzen Jahrhunderts. Von der Blüte und vom intellektuellen Reichtum des Wiener jüdischen Bürgertums, über Vertreibung, von den Schwierigkeiten, sich als Frau zu behaupten und den Anstrengungen es dennoch zu tun bis zu den Begegnungen mit anderen Vertriebenen, einer beinahe rastlosen Getriebenheit durch die Welt und einer späten Heimkehr in diese Stadt.
Eine Ausnahme bildet die Lebensgeschichte von Soshana Afroiym in der Hinsicht, dass Ihr erzwungenes Weggehen aus Wien Sie nicht an e i n e n neuen Ort gebracht hat, sondern sie im besten Sinne eine „Weltensammlerin“ wurde. Ilija Trojanow beschreibt in seinen Roman „Der Weltensammler“ das Leben eines britischen Offiziers, der im 19. Jahrhundert die Welt bereist und dem es die größte Herausforderung und das schönste Vergnügen ist, sich auf fremde Kulturen so intensiv einzulassen bis er selbst von den Einheimischen nicht mehr als Fremder erkannt wird. Auch Soshana ist eine Weltensammlerin. Der Schauplatz ihres Lebens ist die ganze Welt, wie sie es in einem Ö1 Menschenbild erklärt: „In verschiedenen Ländern sind die Menschen verschieden – man muss sich anpassen an jedes Land“. Diese Anpassung führt zu einem spielerischen Wechsel von Identitäten, nicht nur, was die persönlichen Kontakte sondern auch was das künstlerische Schaffen betrifft.
Soshana wurde als Susanne Schüller am 1. September 1927 in eine wohlhabende jüdische bürgerliche Familie geboren, was auch in Ihrer frühen Ausbildung Niederschlag findet. Nach einem kurzen Intermezzo in der Rudolf Steiner Schule, besuchte sie die Schwarzwaldschule beim ersten Wiener Hochhaus in der Herrengasse. Begründet von der Reformpädagogin Eugenie Schwarzwald, war diese Schule eine der ersten Bildungseinrichtungen für Mädchen und es ist kein Zufall, dass Soshana dort mit einem ganzes Lebenskonzept konfrontiert wurde, welches darauf ausgerichtet war, jungen Frauen Selbständigkeit und Selbstbewusstsein zu vermitteln. Werte, die Soshana in Ihrem Leben noch oft brauchen würde. Schwarzwald beschäftigte in den frühen Jahren Lehrer an dieser Schule, die als die Wiener Avantgarde bezeichnet werden können. Neben Adolf Loos, Arnold Schoenberg, Egon Wellesz war auch Oskar Kokoschka Lehrer an der Schule. Auch wenn diese Lehrer zu Soshanas Zeiten lange nicht mehr aktiv waren, so zeigt es doch in welchem intellektuellen Umfeld das junge Mädchen aufwuchs. Erst am letzten Sonntag konnte ich mit Soshana über ihre Erinnerungen an die Schwarzwaldschule sprechen und trotz der krankheitsbedingten Ruhe war doch eine unglaubliche Lebendigkeit in den Augen, wenn es um diese Bilder aus der frühen Kindheit in Wien ging.
Das Trauma des Einmarsches deutscher Truppen in Wien war die Zäsur im jungen Leben von Susanne Schüller. Mit eigenen Augen hat sie vom Fenster der elterlichen Wohnung in der Hanuschgasse aus Hitler bei seinem Einmarsch in Wien gesehen – wenig später erfolgte die Flucht über die Schweiz zum Vater nach Frankreich und von dort noch im Jahr 1939 weiter nach London. „Zum Glück - rechtzeitig“ – wie sie das letzten Sonntag bei meinem Besuch angemerkt hat. Das Ende einer Kindheit im behüteten, jüdisch-bürgerlichen Wiener Milieu markierte den unfreiwilligen Beginn einer lebenslangen Reise. „Die Emigration hat mein Leben geändert“ – sagte Soshana in einem Porträt des ORF.
1941 setzt die Familie mit einem der letzten Schiffe durch den verminten Atlantik über in die USA. Bereits als 17-jährige durchreist sie mit ihrem späteren Ehemann Beis Afroyim Nordamerika und besucht eine große Anzahl an Prominenten. Diese werden allesamt von ihr und Beis portraitiert. Der Personenkreis der Portraitierten entstammt großteils auch aus Europa, viele davon Flüchtlinge darunter Bruno Walter, Otto Klemperer, Thomas Mann, Hanns Eisler, Lion Feuchtwanger oder Arnold Schoenberg. Der erste tote Mensch den sie sieht ist Franz Werfel am Totenbett. Im Auftrag von Alma Mahler-Werfel nimmt Beis Afroiym die Totenmasken ab und Werfel wird ein allerletztes Mal gezeichnet - von der 17-jährigen Soshana.
Der Ehe mit Beis Afroyim entstammt 1946 ihr Sohn Amos Schüller. Es scheint als Widerspruch zu ihrer Sehnsucht nach Familie und Zusammenleben, dass Amos als Kleinkind im Nachkriegs-Wien bleibt, während Soshana 1952 neue Wege einschlägt. Für zwanzig Jahre wird Paris zum Mittelpunkt des Lebens und gleichzeitig zum Ausgangspunkt weiterer Reisen.
Die Gabe und auch die Fähigkeit, in kürzester Zeit die Nähe zu den Stars zu finden und deren Aufmerksamkeit zu erhalten ist nicht immer nachvollziehbar. Ulli Sturm: „Voraussetzungen hierzu sind zweifellos Talent, ein großes Maß an Durchsetzungskraft, eine ausgeprägte Fähigkeit zur Kommunikation und eine unstillbare Neugierde, kreativ zu schaffen und zu erleben. Darüber hinaus bedarf es vermutlich einer schnellen Auffassungsgabe und Anpassungsfähigkeit gegenüber der Umwelt und nicht zuletzt eines geradezu „männlich“ anmutenden [...] Selbstbewusstseins.“
Nur mit solchen Eigenschaften gerüstet sind die Begegnungen mit und auch Beziehungen zu Picasso, Giacometti, Brancusi oder Sartre zu erklären. Giacometti spricht die junge Künstlerin – wie sie sagt - „zufällig“ in einer Ausstellung seiner Skulpturen an und portraitiert sie anschließend gleich drei Mal, über Picasso, der zur damaligen Zeit wahrscheinlich größte Star meint Soshana: „mein Gesicht hat ihm wahrscheinlich gefallen“. Diesem Understatement entstand zumindest ein Portrait der Geehrten aus der Hand Picassos sowie ein Antrag auf ein gemeinsames Leben – ein Antrag, den Soshana nach kurzer aber intensiver Meditation ablehnt.
Die Begegnungen und die Reisen im Leben von Soshana Afroyim sind manchmal für die Wahrnehmung des künstlerischen Schaffens von einer beinahe erdrückenden Bedeutung. Manche persönliche Begegnungen in einem von Männern dominierten Umfeld konnten ihr vielleicht nur als Frau gelingen. Mit 26 Jahren portraitiert Sie auf einer Reise nach Indien den indischen Präsidenten Dr. Radhakrishnan, mit 32 Jahren in Afrika Albert Schweitzer. Manche künstlerische Anerkennung blieb ihr aber wohl aus demselben Grund – nämlich weil sie eine Frau ist - verschlossen. Die persönliche Beziehung zu Pinot Gallizio hat sie zwar der CoBrA-Gruppe näher gebracht und Gemeinschaftsarbeiten entstanden. Weil sie jedoch Frau war, wurde sie nie offiziell in die CoBrA-Gruppe aufgenommen, was auch ein einschlägiges Bild der Avantgarde in den 60-ern zeichnet.
1969 wird Soshana Mitglied der teosophischen Gesellschaft, die durch Wiedererkennen des gemeinsamen Ursprungs aller Religionen daran arbeitet, Rassen-, Klassen- und Standesunterschiede zu relativieren und zu überwinden. „Keine Religion ist höher als die Wahrheit“ – nur mit dieser Einstellung lässt es sich erklären, dass Soshana noch am ersten Tag des Yom Kippur Krieges in ihrer Wohnung von Jerusalem arabische Arbeiter bewirtet und die Aufregung um einen plötzlich verordneten Hass nicht verstehen und im privaten Raum auch nicht zulassen will.
Von 1974 bis zu Ihrer Rückkehr nach Wien im Jahr 1985 verbringt Soshana elf weitere Jahre im neuen Zentrum der Kunst – New York. Wieder sind es Begegnungen mit außerordentlichen Menschen – von Marc Rothko bis Francesco Clemente, die das Leben und Schaffen der Künstlerin prägen.
Vielleicht ist es der Preis eines kosmopolitischen Lebens, dass die künstlerische Wahrnehmung in keinem Land in vollem Umfang erfolgt. Nicht wenige österreichische Maler haben auch in den 50-er und 60-er Jahren den Schritt nach Paris gewagt. Manche sind nach Wien zurückgekehrt und haben hier als renommierte Künstler ihren Weg fortgesetzt, haben das Gesehene und Erfahrene reproduziert und mit ihrer Erfahrung aus Paris kontinuierlich den eigenen Weg und auch ihren Markt entwickelt. „Weltberühmt in Österreich“ war der Titel einer Geschichte des Austropop. Ähnlich könnte man die Geschichte mancher Nachkriegskünstler in Österreich beschreiben. Eine Generation von Künstlern, die zurück aus Paris die österreichische Nachkriegsgeschichte, zumindest was die Malerei betrifft, mitgeschrieben haben. Wenn Soshana heute weder in Wien, in Österreich und wahrscheinlich in keinem anderen Land die ihr zustehende Präsenz hat, so liegt das zum Teil auch daran, dass sie nicht von einer Wien-Sehnsucht getrieben an die Donau zurückging sondern weiter nach New York, China, Japan, Indien, Kuba und Mexico.
Das Land Wien würdigt mit der Verleihung des Goldenen Verdienstzeichens das Leben und das Werk von Soshana Afroyim. Seit 1985 lebt Soshana wieder in Wien, jetzt im Maimonides-Zentrum. „Zu Hause sein“ lautet der Leitsatz dieser Einrichtung der Israelitischen Kultusgemeinde. Die Reisetätigkeit ist gesundheitsbedingt beendet. Jetzt folgen Schritte, die für die Würdigung des Lebens und des Werkes von Soshana wichtig sind. Möge die Verleihung des Goldenen Verdienstzeichens als Zeichen gesehen werden, dass Soshana nach einer langen Reise auch die Stadt Wien als wieder gewonnenes Zu Hause erlebt.
Herzliche Gratulation.
Christian Kircher 2. September 2009