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Soshana Afroyim zum 80. Geburtstag

Das Leben von Soshana aber auch die Entstehungsgeschichte sowie die Rezeption ihres künstlerischen Werkes erzählen allesamt Geschichten und Geschichte davon, was das 20. Jahrhundert dieser Stadt Wien gebracht hat und sind daher ein kleiner Wiener Kosmos des letzten sogenannten kurzen Jahrhunderts. Von der Blüte und vom intellektuellen Reichtum des Wiener jüdischen Bürgertums, über Vertreibung, von den Schwierigkeiten, sich als Frau zu behaupten und den Anstrengungen es dennoch zu tun bis zu den Begegnungen mit anderen Vertriebenen in Amerika, der beinahe rastlosen Getriebenheit durch die Welt und einer späten Heimkehr, für die auch charakteristisch ist, dass wir wahrscheinlich noch immer nicht von einem Ankommen sprechen können. Anerkennung und gleichzeitig Distanz  - auch von Künstlerkollegen  - ist kein Einzelfall für Personen, welche die Enge der Heimat hinter sich gelassen haben um eigene Wege zu gehen.

 Ein kleines Fest für Soshana vor wenigen Tagen im neu eingerichteten Bilderdepot hat einen Querschnitt ihres Schaffens gezeigt und dennoch waren es zwei Objekte, die wahrscheinlich genauso wie die Bilder mit einer Selbstverständlichkeit das Leben von Soshana erzählen. Es waren zwei kleine Koffer – ich nehme an aus den 50-er oder 60-er Jahren - mit den bekannten Papieretiketten von internationalen Destinationen drauf. Ich vermute, dass diese Koffer den wenigsten Besuchern aufgefallen sind und gerade deshalb wie selbstverständlich im Raum waren, so wie Soshana anwesend war. Genauso selbstverständlich nehmen wir heute an, dass Soshana in Wien ist, obwohl sie die meiste Zeit des Lebens auf Reisen war. Soshana wurde als Susanne Schüller am 1. September 1927 in eine wohlhabende jüdische bürgerliche Familie geboren, was auch in Ihrer frühen Ausbildung Niederschlag findet. Nach einem kurzen Intermezzo in der Rudolf Steiner Schule, besuchte sie die Schwarzwaldschule im ersten Wiener Hochhaus in der Herrengasse. Diese Schule, begründet von der Reformpädagogin Eugenie Schwarzwald, war eine der ersten Bildungseinrichtungen für Mädchen und es ist kein Zufall, dass Soshana dort nicht nur mit Inhalten sondern auch mit einem ganzes Lebenskonzept konfrontiert wurde, welches darauf ausgerichtet war, jungen Mädchen Selbständigkeit und Selbstbewusstsein zu vermitteln. Werte, die Soshana in Ihrem Leben noch oft brauchen würde. Eugenie Schwarzwald beschäftigte Lehrer an dieser Schule, die als die Wiener Avantgarde bezeichnet werden kann. In den frühen Jahren waren neben Adolf Loos, Arnold Schoenberg, Egon Wellesz auch Oskar Kokoschka Lehrer an der Schule. Auch wenn diese Lehrer zu Soshanas Zeiten lange nicht mehr aktiv waren, so zeigt es doch in welchem Umfeld das junge Mädchen aufwuchs. In Vorbereitung des heutigen Tages habe ich Soshanas Sohn Amos gefragt, was denn im Leben seiner Mutter die wirklich prägenden Ereignisse oder Begegnungen waren. Nach kurzer Diskussion zwischen uns beiden, ob es nun die Reisen waren, die Begegnungen mit Prominenten oder das „Sich Behaupten als Frau“, griff Amos zum Telefon rief Soshana an. Die Antwort war trocken, ebenso kurz und lautete ganz einfach: „Hitler“. Das Trauma des Einmarsches deutscher Truppen in Wien war die Zäsur im jungen Leben von Susanne Schüller. Mit eigenen Augen hat sie vom Fenster der elterlichen Wohnung in der Hanuschgasse aus Hitler bei seinem Einmarsch in Wien  gesehen – wenig später erfolgte die Flucht über die Schweiz zum Vater nach Frankreich und von dort noch im Jahr 1939 weiter nach London. Das Ende einer Kindheit im behüteten, jüdisch- bürgerlichen Wiener Milieu markierte den unfreiwilligen Beginn einer lebenslangen Reise. „Die Emigration hat mein Leben geändert“ – sagte Sohana in einem Porträt des ORF. 1941 setzt die Familie mit einem der letzten Schiffe durch den verminten Atlantik über in die USA. Als 17-jährige durchreist sie mit ihrem späteren Ehemann Beis Afroyim Nordamerika und besucht eine große Anzahl an Prominenten, die von ihr und Beis portraitiert werden. Der Personenkreis der Portraitierten entstammt großteils auch aus Europa, darunter Bruno Walter, Otto Klemperer, Thomas Mann, Hanns Eisler, Lion Feuchtwanger oder Arnold Schoenberg. Der erste tote Mensch den sie sieht – und wie sie in einem Interview vor zehn Jahren gesagt hat auch der letzte - ist Franz Werfel am Totenbett. Im Auftrag von Alma Mahler-Werfel wird die Totenmasken abgenommen und Werfel ein letztes Mal gezeichnet. Der Ehe mit Beis Afroyim entstammt 1946 ihr Sohn Amos Schüller. Viele Jahre später wird Soshana unter dem Eindruck des in Asien erlebten feststellen, dass gefestigte Familienstrukturen wichtig und gut sind: „...es ist besser, wenn alle zusammen leben“ - „In Tanga habe ich die Leute sehr glücklich gefunden. Sie helfen sich gegenseitig – keiner ist reich keiner ist arm. Das Familiensystem habe ich für sehr gut gefunden“. Es scheint als Widerspruch,  dass Amos als Kleinkind in Wien bleibt, während Soshana 1952 neue Wege einschlägt. Für zwanzig Jahre wird Paris zum Mittelpunkt des Lebens und gleichzeitig zum Ausgangspunkt weiterer Reisen.   Die Gabe und auch die Fähigkeit von Soshana, in kürzester Zeit die Nähe zu den Stars zu finden und deren Aufmerksamkeit zu erhalten ist nicht immer nachvollziehbar. Ulli Sturm: „Voraussetzungen hierzu sind zweifellos Talent, ein großes Maß an Durchsetzungskraft, eine ausgeprägte Fähigkeit zur Kommunikation und eine unstillbare Neugierde, kreativ zu schaffen und zu erleben. Darüber hinaus bedarf es vermutlich einer schnellen Auffassungsgabe und Anpassungsfähigkeit gegenüber der Umwelt und nicht zuletzt eines geradezu „männlich“ anmutenden [...] Selbstbewusstseins.“ Nur so sind die Begegnungen mit und auch Beziehungen zu Picasso, Giacometti, Brancusi oder Sartre zu erklären. Giacometti spricht die junge Künstlerin „zufällig“ in einer Ausstellung seiner Skulpturen an und portraitiert sie anschließend gleich drei Mal, über Picasso, der zur damaligen Zeit wahrscheinlich der einzige Star mit Weltgeltung war meint Soshana: „mein Gesicht hat im wahrscheinlich gefallen“. Diesem Understatement entstand zumindest ein Portrait, zu dem Soshana das Papier und die Pinsel beigesteuert hat, sowie ein Antrag auf ein gemeinsames Leben – ein Antrag, den Soshana nach kurzer aber intensiver Meditation ablehnt. Die Begegnungen und die Reisen im Leben von Soshana Afroyim sind manchmal für die Wahrnehmung des künstlerischen Schaffens von einer beinahe erdrückenden Bedeutung. Private Begegnungen, die ihr in einem von Männern dominierten Umfeld vielleicht nur als Frau gelingen konnten. Künstlerische Begegnungen, die ihr aber mit Sicherheit aus demselben Grund – nämlich weil sie Frau ist – nicht geholfen manchmal geschadet haben. Die persönliche Beziehung zu Pinot Gallizio hat sie der CoBrA-Gruppe näher gebracht, Gemeinschaftsarbeiten entstanden, weil sie jedoch Frau war, wurde sie nie offiziell in die Gruppe aufgenommen. Ilija Trojanow veröffentlichte 2006 einen Roman unter dem Titel „Weltensammler“ und beschreibt darin das Leben eines britischen Offiziers, der im 19. Jahrhundert die Welt bereist und dem es die größte Herausforderung ist, sich auf fremde Kulturen so intensiv einzulassen bis er selbst von den Einheimischen nicht mehr als Fremder erkannt wird. Auch Soshana Afroyim ist im besten Sinne des Wortes eine Weltensammlerin. Der Schauplatz ihres Lebens ist die ganze Welt, wie sie es in einem Ö1 Menschenbild erklärt: „In verschiedenen Ländern sind die Menschen verschieden – man muss sich anpassen an jedes Land“. Anlässlich der Ausstellung 1957 im Kaiserpalast in Peking sagt Soshana: „Meine Arbeit hat sich total verändert - ZEN – man versucht mit einem Strich alles zu sagen“. Diese Anpassung führt zu einem spielerischen Wechsel von Identitäten, nicht nur, was die persönlichen Kontakte sondern auch was das künstlerische Schaffen betrifft. 

1969 wird Soshana Mitglied der teosophischen Gesellschaft, die durch Wiedererkennen des gemeinsamen Ursprungs aller Religionen daran arbeitet, Rassen-, Klassen- und Standesunterschiede zu relativieren und zu überwinden. „Keine Religion ist höher als die Wahrheit“ – nur mit dieser Einstellung lässt es sich erklären, dass Soshana noch am ersten Tag des Yom Kippur Krieges in ihrer Wohnung von Jerusalem arabische Arbeiter bewirtet und die Aufregung um einen plötzlichen Hass zwischen Völkern nicht versteht und im privaten Raum auch nicht zulassen will.

 Von 1974 bis zu Ihrer Rückkehr nach Wien im Jahr 1985 verbringt Soshana elf weitere Jahre im neuen Zentrum der Kunst – New York. Wieder sind es Begegnungen mit außerordentlichen Menschen – von Marc Rothko bis Francesco Clemente, die das Leben und Schaffen der Künstlerin prägen. Vielleicht ist es der Preis eines kosmopolitischen Lebens, dass die künstlerische Wahrnehmung in keinem Land in vollem Umfang erfolgt.  Die Frage „Was wäre gewesen, wenn….“ kann natürlich nicht beantwortet werden. Hätte die elfjährige nicht aus der elterlichen Wohnung den Einmarsch Hitlers in Wien gesehen, wäre die Familie nicht in die Flucht gezwungen worden, vielleicht hätte eine Reise der anderen Art begonnen. Nicht wenige österreichische Maler haben auch in den 50-er und 60-er Jahren den Schritt nach Paris gewagt. Manche sind nach Wien zurückgekehrt und haben hier als renommierte Künstler ihren Weg fortgesetzt, haben das Gesehene und Erfahrene reproduziert und mit ihrer Erfahrung aus Paris kontinuierlich den eigenen Weg und auch ihren Markt entwickelt. „Weltberühmt in Österreich“ war der Titel einer Geschichte des Austropop. Ähnlich könnte man die Geschichte vieler Nachkriegskünstler in Österreich beschreiben. Diese Generation, die einige Jahre in Paris verbracht hat hat, zumindest was die Malerei betrifft, die österreichische Nachkriegsgeschichte mitgeschrieben. Wenn Soshana heute in Wien und Österreich nicht die ihr zustehende Präsenz hat, so liegt das zum Teil auch daran, dass sie nicht von einer Wien-Sehnsucht aus Paris in diese Stadt zurück getrieben wurde sondern New York, China, Japan, Indien, Kuba, Mexico als Schritte in ihrem Sammeln von Welten gesehen hat und sich auf diese Welten mit vollem Herzen eingelassen hat. 

Was bleibt an Wünsche zum Achtziger? Soshana lebt seit 1985 wieder in Wien. Die Reisetätigkeit ist gesundheitsbedingt eingeschränkt. Dennoch erfolgen jetzt Schritte, die für die Würdigung des Lebenswerkes wichtig sind. Amos bereitet mit einer enormen Hingabe Ausstellungen vor und arbeitet daran, Soshanas Werk zu etablieren. Vielleicht führen hier Wege wieder zusammen, die auch die von Soshana geäußerte Sehnsucht nach dem geglückten Familiensystem entstehen lassen. In jedem Fall setzt auch der heutige Abend Schritte zu einer Anerkennung des Lebenswerkes von Soshana, zu dem ich herzlich gratulieren darf.

Christian Kircher, 2007